Lieber Herr Kuska,
vielleicht liegt ja auch ein Missverständnis vor.
Dass Im[] linear ist, heißt:
(1) Im[ r*z] = r * Im[ z] für relles r und komplexes z.
(2) Im[ z + w ] = Im[z] + Im[w] für komplexe Zahlen z und w.
D.h.: Im ist eine reell-lineare Abbildung des zweidimensionalen Vektorraums
der komplexen Zahlen in sich selbst.
Das gilt auch für Re[].
Für komplexe Funktionen f: C -> C gibt es ja auch eine Zerlegung in Real- und
Imaginärteil:
f(z) = f1(z) + i*f2(z) mit f1(z) = Re(f(z)) und f2(z) = Im(f(z)) für alle z
aus dem Definitionbereich von f. D.h.: Re und Im werden punktweise auf die
komplexen Zahlen f(z) angewendet. Das heißt aber nicht, dass Im[f[z]] eine
lineare Funktion in dem Sinne ist, dass der Graph eine Gerade ist.
Ursprünglich ging es ja darum, ob man den Grenzwertprozess mit der Funktion
Im[] vertauschen darf. Da gilt nun, wie man im ersten Semester lernt, dass die
Grenzwertbildung linear ist, wenn der Grenzwert existiert:
(1) Limit[ r*f, z->a] = r*Limit[ f, z->a] für komplexe Zahlen r und komplexe
Funtionen f
(2) Limit[ f+g, z->a ] = Limit[ f, z->a ] + Limit[g, z->a] für komplexe
Funktionen f, g
Aus den Betrachtungen folgt daher, dass unter der Voraussetzung der
Konvergenz Grenzwertbildung und Bildung des Real- bzw. Imaginärteils vertauscht werden
können:
Limit[ Im[f], z->a ] = Im[ Limit[ f , z->a ] ] bzw. Limit[ Re[f], z->a ] =
Re[ Limit[ f , z->a ] ]
Damit ist die Vertauschungsfrage geklärt.
Für Verzweigungen sind die Funktionen selbst verantwortlich. In der
Funktionentheorie führt das auf Funktionen, deren natürliche Definitionsbereiche so
genannte Riemannsche Gebiete über C, bzw. Riemannsche Flächen sind, die die
komplexe Ebene überlagern.
Der Funktionwert ist nicht nur vom Punkt z abhängig, sondern auch noch vom
Weg, den man von einem Grundpunkt z0 bis nach z zurücklegt. Ist das
Definitionsgebiet nicht einfach zusammenhängend, wie bei f(z) = 1/z, denn für z=0 ist
nicht definiert, dann ist ln(z)=Integrate[ g'(t)/g(t),{t,0,1}], wobei g ein Weg
mit g(0) = z0 und g(1) = z ist, der nicht durch 0 verlaufen darf. Hier kommt die
Topologie ins Spiel.
Programme wie MMA müssen aber mit komplexen Zahlen rechnen, d.h. der
natürliche maximale Definitionsbereich muss eingeschränkt werden. Die Art der
Einschränkung ist aber nicht kanonisch, wie die Mathematiker so schön formulieren,
sondern immer mit einer gewissen Willkür behaftet. Diese Willkür führt je nach
Anwendung wieder zu weiteren Einschränkungen, die auch schon mal unerwünschte
Ergebnisse liefern. Man muss sich also der Einschränkungen immer bewusst sein.
Das ist unvermeidlich.
MfG
Stefan Welke